… am 2. Juni 2017
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung von mehreren Seiten zu beleuchten sowie Erfahrungen und Anregungen zusammen bringen – das ist das Ziel der trialogischen Vernetzung. Ganz in diesem Zeichen fand am 2. Juni das erste Borderline Fachsymposium in Berlin im Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee statt.
Als wissbegierige und lernwillige Betroffene freute ich mich über die kostenlose Teilnahme gemeinsam mit meinem Lebensgefährten schon einige Wochen auf diesen Tag, für den mehrere Vorträge von Experten für die Therapie von Borderline als auch Workshops angekündigt waren.
Nachdem Dr. med. Iris Hauth (ärztliche Direktorin des Hauses) und Sabine Thiel (Heilpraktikerin (Psychotherapie) sowie Initiatorin des Borderline-Netzwerkes und des Grenzgänger e.V.) das Fachsymposium eröffnet, die Klinik mit ihren zahlreichen Angeboten vorgestellt und ihre Freude über die gelungene Planung des Tages kundgetan hatten, begann Tamara Hölzlsauer mit ihrem Märchen „Reise ins Licht“. Eine besonders positive und atmosphärische Einstimmung auf ein uns alle – in unterschiedlicher Weise – betreffendes Thema gelang ihr durch eine traumhafte Erzählung von dem wachsenden Licht auf Erden durch die gegenseitige Hilfe der Menschen.
Ich werde im Folgenden kurz auf die Vorträge und das, was für mich besonders einprägend war, eingehen.
PD Dr. med. Christian Stiglmayr stellte dann die erste der auf dem Programm stehenden Therapieformen vor, die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT). Die DBT ziele darauf ab, dass Betroffene lernen, die eigenen Emotionen kontrollieren und regulieren zu können. Notwendig seien hierbei vor allem die Bereitschaft des Betroffenen, die Notwendigkeit der Therapie zu sehen und Anstrengungen dafür aufzubringen. Die Beziehung von Therapeut und Patient wird nicht selten in der Therapie von Borderline auf die Probe gestellt, und in der DBT mache sich der Therapeut unter anderem zur Aufgabe, nur funktionales Verhalten zu verstärken und Grenzen bei dysfunktionalem Verhalten zu setzen. Weiterhin ist PD Dr. med. Christian Stiglmayr auf die Therapiephasen und Grundhaltungen von Therapeut und Patient eingegangen.
Obwohl auch mir diese Therapieform bereits bekannt war, bereicherten und überraschten mich einige Informationen, darunter die Tatsache, dass Marsha Lineham, Entwicklerin der DBT, selbst Betroffene war.
Daraufhin stellte Dr. med. Michael Fritzsch die Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) vor. Bildhaft und humorvoll erklärte er, was Mentalisierung überhaupt bedeutet, und dass sie sowohl für den Patienten als auch für den Therapeuten eine Aufgabe darstelle. Ich wage an dieser Stelle selbst zu behaupten, dass es für jeden Mensch nicht unnütz wäre, zu mentalisieren. Er beschrieb hierbei den Vorgang, z.B. Gesichtsausdrücke anderer Menschen auf die Intentionen und Emotionen hin korrekt zu deuten. Im ersten Schritt die Wünsche anderer Menschen zu erkennen, könne auch eine wichtige Etappe bei der Identitätsfindung des eigenen Selbst darstellen, um mit der Zeit Emotionen korrekt einordnen und für sich Verständnis aufbringen zu können. Mit dieser Therapieform habe ich leider noch keine Erfahrungen sammeln können, jedoch haben mir die Erzählungen den Eindruck vermittelt, dass sie mir dabei helfen könnte, mehr Sicherheit und auch Routine im Umgang mit meinen Emotionen und der Wahrnehmung anderer Menschen zu haben, was immer noch oftmals zu Problemsituationen führt.
Den Vortrag von Dr. med. Birger Dulz zur Übertragungsfokussierten Psychotherapie (TFP) habe ich leider aufgrund von hitzebedingten Kreislaufproblemen verpasst, habe aber von mehreren Zuhörern die Rückmeldung erhalten, dass der Vortrag ähnlich informativ gestaltet – nach dem bis hierher Gehörten nicht anders zu erwarten!
Es folgte als nächstes die Vorstellung des Fertigkeitstrainings für Borderline-Patienten von Dr. med. Ewald Rahn, in der er damit begann, auf Bereiche hinzuweisen, die besondere Aufmerksamkeit erfordern, u.a. der Zugang zu komplexen therapeutischen Angeboten, langfristige ambulante Betreuung, soziale Netze und Verminderung von Langzeitfolgen. Letztere seien in Form von Mangel an sozialer Integration, beruflicher Entwicklung und körperlicher Gesundheit trotz Überwindung charakteristischer Symptome für Borderline viel zu häufig zu erkennen. Es sei daher besonders wichtig, Gesundung durch Aktiv-werden anzustreben. Hilfreich dazu wurden die ausgewogene Verteilung von Aktivität und Verantwortung, Umgang mit Stress, konstruktives Nutzen von Emotionen in zwischenmenschlichen Beziehungen und die Reduktion gegenseitiger Irritationen angeführt. Das dazu dienende System Training for Emotional Predictability and Problem Solving (STEPPS), das in zwei Phasen gegliedert wird, ist eine Ergänzung zu den unterschiedlichen Therapieformen. Es stammt ursprünglich aus Amerika und aus der Idee, Hilfebedürftigen zur Seite zu stehen, die nicht durch Leistungen der Krankenkasse unterstützt werden, was mich sehr beeindruckt.
Auf den letzten Vortrag vor der Mittagspause zum Thema „Ist die Borderline-Persönlichkeitsstörung eine Traumafolgestörung?“ von Dr. med. Ulrich Sachsse freute ich mich aufgrund des Wissens um seine zahl- und hilfreichen Bücher ganz besonders und wurde nicht enttäuscht. Sehr authentisch war bereits der Einstieg in das Thema: Empathisch sei die Selbstverletzung nicht nachzuvollziehen, daher müsse diese analytisch gründlich verstanden werden. Relativ früh stach aus dem Vortrag die Nachricht hervor „einmal Borderline, immer Borderline“ sei wissenschaftlich falsch – eine erneut Mut und Hoffnung spendende Tatsache für Therapeuten, Angehörige und natürlich Betroffene. Im Laufe des Vortrags stellte Dr. med. Ulrich Sachsse bekannte Fakten um die Borderline Persönlichkeitsstörung und die Posttraumatische Berlastungsstörung in Zusammenhang und belegte anhand von Studien, dass Borderline erst in Kombination mit einer Bindungsstörung als eine Traumfolgestörung zu betrachten sei.
Nach ganz viel Input freuten sich neben mir viele anderen auf die Mittagspause – Häppchen, Suppe und frische Luft waren eine gelungene Grundlage, um mit neuer Energie von Thomas Mikoteit über die Angebote im JobCenter Essen zur Seelischen Gesundheit und Arbeit/Ausbildung aufgeklärt zu werden, welche für viele Menschen bereits eine große Hilfe sind und waren, um mit der notwendigen Unterstützung wieder in das Berufsleben zurückzufinden.
Im Anschluss fanden die Gesprächsrunden statt, in denen moderiert Fragen zu den Vorträgen gestellt werden konnten. Eine besonders gute Idee, um den direkten Trialog herzustellen. Mein Lebensgefährte und ich nahmen an dem Experten-Workshop teil, neben dem auch noch ein Betroffenen- und ein Angehörigen-Workshop organisiert war. Dr. med. Ulrich Sachsse ging hier u.a. nochmal genauer auf die Ziele der unterschiedlichen Therapieformen, aber auch auf andere Fragestellungen ein. Nach einer Kaffeepause endete das Fachsymposium mit einer kurzen Vorstellung der besprochenen Themen in den Workshops.
Für uns hat es sich sehr gelohnt, die weite Reise nach Berlin anzutreten, und ich bin mir sicher, dass dies nicht das letzte Borderline Fachsymposium gewesen ist. Angebote dieser Art sind mit Sicherheit für alle Betroffenen, Therapeuten und Angehörigen eine Bereicherung und sollten in meinen Augen noch mehr Anklang finden.